Weinmythen halten sich hartnäckiger als jeder Rotweinfleck auf dem weissen Hemd. Auch wenn viele dieser Halbwahrheiten längst überholt sind, so kursieren sie noch immer in den Köpfen vieler. Ich ergreife hier Partei für eine zeitgemässe Weinwelt und räume mit drei Weinmythen auf, die vor dem eigentlichen Weingenuss bereits zu hitzigen Diskussionen führen können.
Noch bevor der erste Tropfen Wein im Glas landet, sorgt die vermeintlich richtige Verschlussart für leidenschaftliche Wortgefechte. Sicher, der Korken und das charakteristische «Plopp» symbolisieren Qualität und Tradition. Auch trägt er bei langlebigen Weinen zur Entwicklung komplexer Aromen bei. Doch der Drehverschluss ist keineswegs nur für Billigweine. Er hat sich als verlässliche Alternative etabliert, sorgt für eine konstante Abdichtung und schützt vor Oxidation, sodass der Wein frisch und fruchtbetont bleibt. Es gibt also exzellente Weine mit Drehverschlüssen. Und genauso mit Korken.
Nach dem Einschenken wird fleissig das Glas geschwenkt. Und das wortwörtlich ohne Rücksicht auf Verluste. Natürlich – junge, verschlossene Weine profitieren vom Sauerstoff-Boost und entfalten durch die Belüftung ihre herrlichen Aromen. Doch hier gilt: Minutenlanges Schwingen des Saftes setzt keine zusätzlichen Duftnuancen frei. Also schön sachte.
Ein weiterer Mythos sind die sagenumwobenen «Kirchenfenster». Oft wird behauptet, dass diese eleganten Schlieren am Glasbauch ein Indiz für höchste Weinqualität sein sollen. Dies ist – sorry für die Wortwahl – Quatsch. Die tränenartigen Muster sagen lediglich etwas über die sogenannte Viskosität, also die Zähflüssigkeit, des Weins aus. Und diese steht in Zusammenhang mit dem Alkohol- und Zuckergehalt. Die Faustregel lautet: Je ausgeprägter die «Kirchenfenster» und je schneller die «Tränen» am Glas herabfliessen, desto höher ist in der Regel der Alkoholgehalt des Weins.
Ich weiss, ich weiss: Die grosse, weite Weinwelt präsentiert sich oft wie ein Buch mit sieben Siegeln. Ich hoffe, ich konnte Ihnen heute den Stress vor dem eigentlichen Weingenuss ein bisschen nehmen. In diesem Sinne: Auf das, was wirklich zählt – nämlich schlicht und einfach die Freude am Genuss.
Dieser Journalbeitrag ist in gekürzter Form in unserer Weinkolumne in der Coop Zeitung erschienen




